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matthias flake
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  matthias flake



Man müsste Klavier spielen können. Wer Klavier spielt, kann am Theater groß rauskommen. So wie Matthias Flake. In Roberto Ciullis Mülheimer Inszenierung der „Dreigroschenoper“, als Gastspiel im Cuvilliéstheater zu sehen, ist Flake nicht nur schnöder Orchestermusiker. Vielmehr erinnert er, wie er da vor der Bühne sitzt, an einen Barpianisten: Die Haltung stets korrekt, liefert er an Emotionen, was gerade erwünscht wird. Jeder Anschlag einer Taste erfüllt Sehnsüchte. Doch ein fast unmerklicher Zug um die Lippen drückt ebenso aus: "Ihr sollt bekommen, was ihr meint, bekommen zu müssen. Doch eigentlich bin ich es, der euch tanzen lässt."
(Bettina Sonnenschein über DIE DREIGROSCHENOPER, Theater an der Ruhr, Süddeutsche Zeitung, 27. Juni 2001)


Das Ganze: ein Rausch. Flake hat – wie sich das gehört – das musikalische Material auf das Ensemble zu arrangiert; und es ist blanker Spaß, wie er mit dem klug besetzten Orchesterchen aus Geige, Vibraphon und E-Gitarre plus Rhythmusgruppe die kleinen, verspielten Neurosen der Strauß-Musik neu kenntlich werden lässt, wie er speziell zur Eröffnung des Intrigenstadls zugleich bedient und weglässt, etwa fast die ganze Ouvertüre: weil der im Suff geschundene Anstifter der "Fledermaus"-Rache vor lauter Brummschädel keine Musik mehr hören kann. Und auch im Folgenden ist alles angestrengt-opernhafte Tirilieren gekappt, die Partitur auf Song-Struktur verknappt; und zwar geschickterweise immer dann, wenn ein Auftritt, eine Szene, den eigenen Charakter ganz ursprünglich aus und in Musik behauptet. So musikalisch klug war lange keine "Fledermaus". Und Karin Neuhäuser, erklärtermaßen vor allem um fetten Quatsch bemüht, folgt Flake auf die Spur der musikalischen Pointen – und "übersetzt" sie für sich in ziemlich viel Jux und reichlich Dollerei.
(Michael Laages über DIE FLEDERMAUS, Schauspiel Frankfurt, Nachtkritik, 25. Oktober 2008)


Zunächst: die Musik. Die Musik ist, neben Alkohol natürlich und den Insignien militärischer Potenz, das Antriebsmittel für den sexuellen Exzess. Deshalb nennt das Theater an der Ruhr den "Woyzeck" einen "musikalischen Fall": ein achtköpfiges Blas- und Streichorchester sitzt und steht hinten auf der Bühne, gebildet aus den episodenhaft auftretenden Nebenfiguren des Stücks, und "untermalt" das Geschehen – allerdings streng kontrafaktisch. So melancholisch, wie diese anrührend unvollkommene Musik sich gibt, benebelt sie die Köpfe auf ganz andere Art, als es beim Heurigen oder sonstwo üblich ist.
(Martin Krumbholz über WOYZECK. EIN MUSIKALISCHER FALL, Theater an der Ruhr, Nachtkritik, 19. September 2012)


Zwei alte Clowns, sie eine gealterte Marlene, er ein kahlköpfiger deutscher Baron mit Monokel und Mantel über den Schultern, entledigen sich in der Nacht, während die anderen schlafen, ihrer Gebrechlichkeiten und verbinden sich zu einem Walzer, der sich, wirbelnd im Kreise drehend, erhitzt bis zu einer Explosion, als ob er eine Schallmauer durchbräche. Der Clown ohne Stimme Alessandro Moreschi (angelehnt an den „Letzten der Kastraten“, braunes Gewand, unter dem weiße Spitze und die weichliche Figur eines päpstlichen Sängers hervorschauen), umherstolzierend wie eine Diva aus dem 19. Jahrhundert, Dreivierteltakt, sehnsuchtsvoller Blick aus halbgeschlossenen Lidern, femininer Mund, große Geste, holt eine winzig kleine Taschenvioline hervor, Duett mit Klavier, angekratzt (oder akzentuiert) durch Geräusche der Mitspieler - traditionelle musikalische Gags - quietschende Luftballons, umkippende Stühle, Wasserschütten, Gähnen. Zeit für die Ausgabe der Medikamente: profane Tabletten und Pulver in Gläsern und Fläschchen, ihr Klingeln und Rasseln fügt sich zu einem Rhythmus, auf dem sich das Klavier nur noch auszubreiten braucht, um mal eben ein brillantes Musikstück zu entwickeln. Ein Stoß Bretter, der plötzlich auf der Szene erscheint, wirbelt sich wie von selbst auf zu einem Kleiderschrank, in dem die gesamte Truppe Platz findet, schließlich und endlich bereit zu verschwinden. Clowns 2 1⁄2 ist ein Stück für acht Clowns plus zwei: den Komponisten Matthias Flake, mit auf der Bühne am Flügel, und den Gigante Buono, Rupert J. Seidl, Typus des strengen Pflegers. Das Stück besteht aus einzelnen eigenständigen Szenen, im wahrsten Sinne orchestriert für verschiedene Ensembles: Duos, Trios, Solokonzerte mit Orchester sowie symphonische Concerti. Die acht Figuren auf der Bühne werden, obwohl jede von ihnen kurze oder sehr kurze Soloszenen hat, behandelt wie Haupt- und Nebenstimmen, einigen sind nur Akzentuierungen, Dopplungen und winzige solistische Aktionen vorbehalten. Ich bediene mich hier der Metapher des Orchesters, weil die Musik der Kern des Stückes ist, so sehr, dass ihre Abwesenheit bisweilen als Beklemmung wahrgenommen wird. Musik:große Ordnungsmacht des Kosmos (die musikalische Begleitung eines Stummfilms, den niemand sieht, zieht die Clowns emotional in die Filmhandlung hinein und uns mit ihnen); Balsam für das Unglück des alltäglichen Lebens (aus der Wiederholung von Gesten entsteht ein Rhythmus); Zufluchtsort, der für jeden etwas bereithält, und sei es auch nur ein sehnsüchtig erwarteter Triangelschlag. Desakralisierung, glückliche überwindung der Absurdität des Lebens, das ist die Musik der Clowns. Und sie ist die Jugend in einem Stück über das Alter: Wenn das Klavier spielt, beginnen die Alten wieder zu leben, treiben Sport, Extremsport, lieben und leben ohne Alter. Und wenn der Startrichter, nachdem er sie alle auf der Startlinie des 100-Meter-Laufs positioniert hat, aus Versehen den Pianisten erschießt, gewinnt die Realität wieder gewaltsam Macht über die Clowns: plötzlich fällt alles zurück in Handlungsunfähigkeit, jeder von Neuem ausgeliefert dem unerträglichen Gewicht seines Körpers und seiner dürftigen Existenz.
(Carlo Lei über CLOWNS 2 1/2, Krapp‘s Last Post, 5. 7. 2018, übers.: Karolin Kellermann)
Originaltext: http://www.klpteatro.it/clown-2-mezzo-roberto-ciulli-napoli-teatro-festival



Natürlich steht im Zentrum die Musik von Tom Waits, die rockt, knarzt, kracht und rumpelt, zarte Balladen und große Shownummern mischt. Fabelhaftes zaubert Matthias Flake mit seiner Combo da aus dem Orchestergraben. Und das Ingolstädter Ensemble - man kann nicht müde werden, das zu betonen - singt dazu berückend schön, wild, herzzerreißend.
(Anja Witzke über THE BLACK RIDER, Donaukurier, 29. 9. 2019)


Im Zentrum des Bühnenraums befindet sich eine quadratische Wasserfläche. Auf ihr das Skelett eines Bootes. Vier Schauspielerinnen und vier Schauspieler betreten die Bühne in gelben Schürzen über blauen Hemden und mit skurrilen Perücken. Freakige Krankenschwestern, individualisierungswilde Engel? Sie stehen da und überantworten uns und sich dem Schweigen. Aus dem lösen sie sich mit einer Geräuschcollage oder –partitur. Vielleicht sollen wir das Meer hören oder eine kurze, harsche, wortlose Zivilisationsgeschichte. Immer wieder bücken sie sich und finden etwas im Wasser: Kleidungsstücke, ein Portemonnaie, ein Handy. Die sammeln sie auf Seziertischen. Und sie sprechen Texte von überlebenden und selbst, wohl auf den Proben, entwickelte, poetisch hoch gespannt, aber ohne Pathos. Und treffen sich mehrfach zu chorischem Gesang, entwickelt und grandios einstudiert von Matthias Flake.
(Andreas Falentin über BOAT MEMORY / DAS ZEUGNIS, Die Deutsche Bühne, 16.12.2019)